Go (North-) East - Radtour durch das russische Karelien 1999

von Natalie Hesse


Hier ist also der erste Reisebericht eines Fast-Onfootlers, den Markus Müller eingesandt hat. Per Fahrrad durch ein faszinierendes Stück unserer Welt, daß vielen von uns als Urlaubsziel wohl niemals einfallen würde.

Nehmt Euch also etwas Zeit, lest und denkt noch einmal über die nächste Urlaubsplanung nach.

Weitere Infos gibt's bei Markus (cyclist@cityweb.de> und Frank Braechter

Russisch Karelien zum Downloaden (7kb)

 

Drei beliebte Fragen

Es gibt drei sehr beliebte Fragen, die Leute mir stellen, wenn ich erzähle, wie ich meinen Urlaub verbracht habe. Die erste ist: Karelien, wo liegt denn das? Die zweite lautet: Ist das denn nicht gefährlich?  Und die dritte: Wie kommste denn da drauf ?

Was ist und wo liegt Karelien?

Um diese Fragen gleich vorweg zu beantworten: Karelien liegt in der russisch-finnischen Grenzregion. Ob Karelien nun Russland oder Finnland ist, darüber streiten sich die Geister. Gewesen ist es beides schon. Seit dem russisch-finnischen Krieg 1940 gehört der Mammutteil davon jedenfalls zu Russland. Durch die rigide stalinistische Umsiedlungspolitik, gibt es in Karelien kaum noch Karelier und Karelierinnen, sondern eine überwiegend russische Bevölkerungsstruktur, obwohl seit dem Zerfall der Sowjetunion, einige dieser nach Finnland zwangsausgesiedelten Menschen heute wieder nach Karelien zurückkehren. Die autonome GUS Republik Karelien liegt, grob gesagt, nördlich von St. Petersburg und nordöstlich von Helsinki. Die zwei größten Seen Europas befinden sich dort, nämlich der Ladoga -See im Südwesten und der Onega-See im Osten. Neben diesen beiden großen Seen gibt es noch unzählige andere Seen, mittelgroße, kleine und winzige. Zwischen all diesen Seen ist die Landschaft stark hügelig, sehr  waldreich  (Fichten-Buchen-Birkenmischwald) und eher dünn besiedelt. Industrie (sofern nicht stillgelegt) gibt es vor allem im Gebiet um die Hauptstadt Petrosavosdsk. Der Großteil der Bevölkerung lebt von Vieh- und Forstwirtschaft und das, so schien mir, nicht besonders gut.

Gefährlich ist es dort nicht mehr oder weniger als beispielsweise im Sauerland, allerdings wedelten wir während unserer Reise auch nicht mit den Dollarscheinchen herum oder fuhren goldkettchenbehängt im Porsche vor.

Warum Karelien?

Warum nicht!  Ich wollte schon immer einmal mit dem Fahrrad durch Nordrussland fahren, seitdem ich dort einmal mit dem Zug durchgefahren war und aus dem Zugfenster heraus die endlosen Wälder bewunderte. Dann las ich während meiner Arbeitszeit, beim Drucken der "Frei atmen" um genau zu sein, die Anzeige von Markus Müller, der Leute zu einer Radtour durch Karelien suchte und ich rief an.

Letztendlich machten wir die Reise zu viert, wobei außer mir leider keine weitere Frau mitfahren wollte.

Wir trafen uns zweimal vorher zum Kennenlernen , fuhren zusammen Rad und planten die Route und technische Details wie Visum, was mitnehmen, An- und Abreise. Markus hatte ziemlich viel schon vorbereitet, was an sich für alle anderen eine gute und bequeme Sache war, andererseits aber für Spannungen innerhalb der Gruppe sorgte, weil manch einer sich übergangen fühlte. Ich persönlich habe keine besonders große Radtourenerfahrung und hatte leichte Befürchtungen mit den anderen nicht mithalten zu können, vor allem nachdem alle recht  kritisch mein 7- Gang Tourenrad (Diamant) beäugten und argwöhnisch fragten, ob ich mit diesem Rad eine solche  Tour zu fahren gedenke. Um vorzugreifen - mein Rad hielt sich ganz prächtig, auch wenn es Steigungen gab, bei denen ich nur mit viel Schwung und im Stehen hochkam. Dann und wann musste ich sogar schieben, die anderen mit ihren über 24-Gängen Rädern allerdings auch, dazu aber später mehr.

Und los geht´s

Ende Juli ging es dann endlich los. Mit dem Zug nach Rostock, von da aus mit der Fähre nach Helsinki und von dort, wir blieben einen halben Tag dort, mit dem Zug nach Kitee ( ca. 300 km Richtung Norden). Ursprünglich hatten wir geplant direkt von Helsinki aus mit dem Rad  zu starten und von Süden her den Ladoga-See zu umrunden, erfuhren aber rechtzeitig vorher, daß uns da ein militärisches Sperrgebiet in die Quere gekommen wäre, dass wir als nicht-russische Zivilisten nicht hätten befahren dürfen.

So fuhren wir also von Kitee rund 50 Kilometer bis zur Grenze und genossen dort noch einmal den Luxus eines Campingplatzes. Die folgenden zwei Wochen zelteten wir wild meist im oder am Wald in der Nähe zu einem See oder Bach.

In Värtsila fuhren wir dann nach zahlreichen Passkontrollen, Zollerklärungen und vielen neugierigen Blicken über die Grenze und auf die Straße Richtung Sortavala (Ladoga-See). Die Straße ist gut geteert und angenehm zu fahren. Finnische Lebensmittelläden, in denen die angereisten Finnen billig ihr finnisches Bier, Zigaretten und sonstige Konsumgüter kaufen können säumen die Straße ebenso, wie geduldig hinter Blecheimerchen sitzende Frauen, Männer und Kinder die selbstgesammelte Beeren oder Pilze zum Kauf feilbieten.

Sortavala ist keine besonders sehenswerte Stadt. Beim Hereinfahren passierten wir die unvermeidlichen Plattenbauten, deren Zustand einen ungemütlichen Winter verspricht, einen wirkliches Stadtzentrum gibt es nicht, dafür aber einen Hafen, von dem aus wir mit einem Schiff zur Klosterinsel Valaam fahren wollten. Den Hafen zu finden, dauerte ein Weilchen, zumal es in den wenigsten russischen Städten so etwas wie eine Beschilderung gibt. Einige Tage später in Petrosavodsk standen wir übrigens vor dem gleichen Problem. Bis dahin hatten wir jedoch unsere mangelhaften Russischkenntnisse so weit auf Trab gebracht, daß wir uns durchfragen konnten und dabei auch noch die Antwort verstanden. Russisch sprachen ohnehin nur Markus und ich - und das nicht besonders gut. Die Anzahl der Englisch oder Deutsch sprechenden Personen hielt sich stark in Grenzen. Meist waren diese entweder Exilkarelier auf Erinnerungstour oder Touristen aus St. Petersburg.

Wir fanden nach einigem hin und her ein Boot, das uns und unsere Räder nach Valaam fuhr und dort auch wieder abholte.

Valaam ist durchaus sehenswert. Seit einigen Jahren ist die Insel wieder im Besitz der russisch-orthodoxen Kirche und die zahlreichen Kirchen, Klostergebäude und die Kathedrale werden emsig restauriert.  Von St. Petersburg aus fahren Kreuzfahrtschiffe dorthin und tagsüber bevölkern recht viele Touristengruppen die Insel. Nachts, wir hatten unsere Räder über Tag im Wald versteckt und dann ein nettes Plätzchen zum Zelten gesucht, wurde es ruhig auf der Insel. Auch morgens leisteten uns lediglich die Mücken und einige Kühe samt Hütejungen Gesellschaft.

Wieder in Sortavala angekommen machten wir uns auf den Weg Richtung Petrosavodsk. Auf den Straßen auf denen wir dann fuhren wurde der Verkehr immer spärlicher und der Straßenbelag immer schlechter.

Das nennt man dort 'Straße'

Während ich auf der anfänglichen Lehmstraße, laut Karte immerhin so etwas wie eine Bundesstraße, noch recht gut voran kam, rutschte mir auf der dann folgenden Schotterstraße schon einmal das Hinterrad weg. Außerdem sorgten die zahlreichen Schlaglöcher für ein ganz einmaliges Fahrgefühl und viele blaue Flecken und verwandelten außerdem ein Röhrchen von Brausetabletten binnen eines Tages in ein staubiges Pulver. Vorbeifahrende Holz-LKWs hüllten uns, vorübergehend in beeindruckende Staubwolken und erhöhte die Sehnsucht nach einer schönen heißen Dusche, die wir aber erst in Finnland wieder bekamen. In den aus windschiefen Holzhäusern bestehenden Dörfern ernteten wir schiefe Blicke, oft aber auch nur Desinteresse und einkaufende Großmütter diskutierten darüber, ob wir denn nun wirklich Touristen oder doch eher Studenten seien. Eine wirkliche Attraktion waren wir vor allem für die Kinder, die mit klapprigen Fahrrädern um uns herumfuhren und uns zu Wettrennen herausforderten.

Brücke?

In einem Dorf namens Leppjasurja wurden wir von zwei Dorfmilizen angehalten, die unsere Visa sehen wollten und sich nach unserer Reiseroute (Marschrout) erkundigten. Eine nervige Stunde später konnten wir weiter fahren, wurden aber, obwohl wir noch vielen Milizen und noch mehr Militär begegneten auf der ganzen Tour kein zweites Mal kontrolliert.

Bis Petrosavodsk brauchten wir dann länger als geplant, weil wir, der Straßenverhältnisse wegen, nicht wesentlich mehr als 70 km am Tag fahren konnten und wollten.

Von Petrosavodsk aus, auf der Suche nach dem Hafen hatten wir recht viel von der Stadt gesehen, fuhren wir dann mit der Fähre auf die Insel Kischi. Kischi ist ein Freilichtmuseum mit alten karelischen Bauernhäusern, Scheunen und einer Mühle und der beeindruckendsten Holzkirche, die ich in meinem Leben jemals gesehen habe. Kunstvolle, von Espenholz silbern glänzende Zwiebeltürme schmücken das Kirchendach und machen es fast unvorstellbar, daß ein Mensch so etwas ohne einen einzigen Nagel bauen kann. Schon allein für diese Kirche hat sich die Fahrt gelohnt.

Kischi ist nicht nur ein Museum, sondern auch eine Ferieninsel, wir beschlossen aber, trotz der einladenden Umgebung noch am Abend aufs Festland zu fahren, uns auf die Fahrräder zu schwingen und ein Stückchen weiter zu fahren.

Holzkirche

Recht spät abends begaben wir uns dann auf die gewohnte und oft langwierige Suche nach einem geeigneten Zeltplatz und ließen uns auf einer mückenreichen Kuhwiese an einem Tümpel nieder. Einer von uns hatte sehr unter den Mücken zu leiden, nicht nur weil sie bevorzugt ihn stachen, sondern auch weil sich seine Mückenstiche zu schmerzhaften, eitrigen Beulen entwickelten. Als auch die morgendliche Ankunft der Kühe keine Milderung der Mückenplage in Aussicht stellte fuhr er schon einmal los, während wir drei anderen noch mit Frühstück und Zeltabbau beschäftigt waren. Unsere Abfahrt verzögerte sich dann noch, weil ich noch mein Schutzblech reparieren mußte. Ob wir nun eine andere Strecke genommen haben oder ob unser Vorfahrer nicht lange genug auf uns gewartet hat, kann niemand von uns genau sagen, Tatsache hingegen ist, dass wir uns an dieser Stelle aus den Augen verloren und uns während der ganzen restlichen Tour nicht wiederfanden.

See bei Essolja

Wir verbliebenen drei; waren sowohl im Besitz der Straßenkarten, als auch der getauschten Rubel und machten uns entsprechende Sorgen, grundlos wie wir später erfuhren : wir haben eine Woche später alle vier, wenn auch ohne es zu wissen, am selben Tag; die russisch - finnische Grenze überquert.

Wir fuhren also zu dritt weiter. Weil die Karte für den Nordosten Kareliens und dort befanden wir uns jetzt, nicht mehr allzu genau war, verfuhren wir uns von nun an häufiger und mußten auch schon einmal umdrehen, weil wir nur noch schiebenderweise vorwärtskamen oder sich die Straße im Sumpf verlor. Letztendlich fuhren wir dann - mangels Alternativen auf die Autobahn und zwar wieder Richtung Petrosavodsk. Nun ist eine russische Autobahn mit einer hiesigen nicht vergleichbar, sondern gleicht eher einer Land- oder Bundesstraße mit wenig Verkehr. Trotzdem hätte ich die Fahrt auf einer kleineren Straße vorgezogen, auch wenn das Fahren auf angenehm glatten Asphalt durchaus seine Vorteile hat. Außer der Autobahn und der Route Sortavala - Värtsila waren vor allem militärisch wichtige Straßen, Dorfstraßen und kurze Teilstrecken von Schotterstraßen geteert.

Dennoch hatte das Autobahnfahren etwas Gutes. So kamen uns dort einige Kilometer vor Petrosavodsk zwei weitere Radfahrer entgegen, deren vollbepackte Räder darauf schließen ließen, dass es sich ebenfalls um Reiseradler handelte. Die beiden Radler kamen aus Astrachan (am Kaspischen Meer) und waren auf dem Weg Richtung Murmansk. Nur einer von beiden hatte eine Gangschaltung am Rad und eines der Räder sah aus, als habe es jemand mit einem Stück Seil geflickt. Wir radebrechten fast zwei Stunden miteinander und trennten uns mit dem Vorsatz gegenseitig Mails zu verschicken, wenn wir wieder zu Hause wären. Das ist auch so geschehen . Die beiden sind, den schlechten Rädern und unserer Skepsis zum trotz bis kurz vor ihrem Zielort (Kemi) gekommen und wohlbehalten wieder in Astrachan angelangt.

Russische Reiseradler

An diesem Abend hatten wir große Probleme einen geeigneten Zeltplatz zu finden und ließen uns nach ausgiebiger Suche in der Nähe einer Datschensiedlung an einem See nieder, der so dreckig war, daß niemand sich vorstellen konnte das Wasser zu trinken.

Am folgenden Morgen beschlossen wir den Weg zur Straße durch den Wald abzukürzen und landeten in einem Militärgebiet, aus dem wir nicht so einfach wieder herauskamen, weil kurz vor unserem Zielort, der Hauptstraße , ein bewaffneter Kontrollposten stand. Da wir möglichen Ärger mit dem Militär aus dem Weg gehen wollten, fuhren wir einen Großteil der Strecke zurück und erreichten etliche Kilometer später, aber bis auf zerrüttete Nerven wohlbehalten, die ersehnte Straße.

An den folgenden Tagen wurde das Wetter trüber. Vorher hatte tagsüber meist die Sonne geschienen, von durchschnittlich einem kurzem Regenschauer am Tag einmal abgesehen. Ohne die wärmende Sonne wurde es aber direkt etliche Grade kälter und machte das abendliche Zelten zu einem eher frösteligem Erlebnis.

Von Petrosavodsk aus hatten wir eine andere Route nach Sortavala gewählt als auf der Hinfahrt. Landschaftlich war diese Strecke wunderschön, mit viel Wald, schönen Seen und malerischen Dörfern. Die Straßen waren großteils nicht so gut, zumal wir nun längere Etappen fahren mussten als am Anfang der Tour, weil wir sonst nicht rechtzeitig unseren Zug von Kitee nach Helsinki erreicht hätten. Meine Knie schmerzten und meine Knochen fühlten sich an, als hätten sie eine Schleuderrunde in der Waschmaschine gedreht und ich begann jedes einzelne Schlagloch zu verfluchen das ich durchfuhr.

Wären wir jetzt noch zwei Wochen weiter gefahren, hätte ich einen; Pausentag gebraucht, so aber fuhren wir zügig nach Sortavala und die bekannte Strecke zurück zu unserem finnischen Campingplatz - wo wir ausgiebig von der heißen Dusche Gebrauch machten.

Von dort aus gings zurück nach Kitee und Helsinki. In Helsinki blieben uns dann noch anderthalb Tage für profanen Stadttourismus, bis wir wieder die Fähre besteigen mussten.

Allen Widrigkeiten zum Trotz - dies war einer meiner schönsten Urlaube und wenn ich über mehr Urlaubstage verfügt hätte, wäre ich gerne länger geblieben.

Vieles von dem, was wir erlebt und gesehen haben, lässt sich in diesem Artikel nur schwer oder gar nicht vermitteln, eines aber kann ich sagen:

Karelien ist eine (Rad-) Reise wert.

Natalie Hesse , Münster

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