Schon Wochen vorher war die Reise peinlichst genau geplant worden. Schließlich hatte ich vor, den ganzen Mai unterwegs zu sein. Viele nützliche Informationen habe ich dem WWW entnehmen können. Wettervorhersagen, Routenplanung, Bestellung von Kartenmaterial, Ausrüstungsgegenständen oder Nahrungsergänzung, fast alles habe ich dort gefunden. Bloß ein
potentieller Reisepartner war nicht aufzutreiben. Ich habe es auf den verschiedensten Seiten versucht, im Chat vom Bicycles Versand Bielefeld, bei Globetrotter auf der Mitreiseseite und auch
bei OnFoot. Sicherlich war es zu kurzfristig, jemanden für solch lange Reisezeit zu finden.
Da blieb mir also nichts anderes übrig, als allein loszuziehen.
Die Strecke nach Norwegen habe ich schnell hinter mich gebracht. Am Vortag des eigentlichen Reisebeginns habe ich mein Mountainbike nebst kompletter Ausrüstung auf der riesigen Ladefläche
des Trucks meines Neffen verstaut. Trotz der fünf großen Rollen Tetrapacks für eine Milchfirma in Lillehammer/Norwegen, hätten gut und gerne noch 10 Räder mit Ausrüstung mitgekonnt. Für mich war diese Fahrt die erste längere auf so einem großen Fahrzeug. Die halbe Nacht waren wir unterwegs zum Fährhafen Saßnitz/Mukran. Ich hatte Glück und konnte mir als inoffizieller Beifahrer die Kosten für die Überfahrt sparen. Waren zwar nur 25,-DM, aber immerhin. Auch ein kostenloser Kabinenplatz hing an meiner Rolle als Beifahrer. Nach knapp vier Stunden und einer unruhigen Nacht in der Kabine unter dem Eisenbahndeck, sind wir in Trelleborg eingelaufen.
Ich hab es mir auf dem Beifahrersitz bequem gemacht und die Fahrt auf der E 6 genossen. Das Wetter war, wie zu Hause, herrlich. Aus der hohen Kabine des Trucks konnte man weit über die Landschaft schauen. Obwohl für die E 6 die Landschaft teilweise begradigt wurde, änderte sich das Streckenprofil recht schnell. Es wurde immer hügliger. Als wir um 14.00 Uhr die norwegische Grenze am Svinesund überquerten, war es doch
schon recht bergig.
Mir wurde leicht mulmig, denn ich hatte ja vor, den ganzen Weg mit dem Rad wieder zurückzufahren. Einige Kilometer hinter der Grenze haben wir Rad und Ausrüstung abgeladen und das eigentliche Abenteuer konnte beginnen. Ich mußte mir noch die zweifelnden Blicke meines Neffen gefallen lassen, als ich die ganze Ausrüstung auf dem Rad befestigt
hatte. Immerhin stolze 40 kg Gepäck. Das war zu viel für den Trucker, der im Höchstfall seine Waschtasche zur Dusche "schleppt". Noch mal kurz abgrüßen und da stand ich dann, allein und ein
Weg von 800 km vor mir. Voller Tatendrang bin ich losgeradelt und am ersten Berg gleich gescheitert.
Als Flachlandfahrer und mit der ganzen Ausrüstung war das zu heftig für mich. Also absteigen und schieben, bis zur nächsten Talfahrt. Diese Fortbewegungsweise sollte sich die ganze Tour fortsetzen. Ich glaube, ein Drittel der Strecke bin ich gelaufen. Das hatte natürlich auch sein Gutes. So
konnte ich die Landschaft viel intensiver erleben. Die Folgetage habe ich bei wolkenverhangenem Himmel und Nieselregen in den Wäldern der südlichsten Spitze Norwegens verbracht. Sicher kein
Vergleich mit den Weiten Lapplands, aber die Zivilisation war auch schon weit weg. Lagerfeuer im Wald an einsamen Seen, das war schon was.
Die Gedanken waren frei und ich hatte Muße, nach Hause zu schreiben. Eine alte, wenig befahrene Straße war nur in der Ferne zu hören. Sie diente hauptsächlich den Norwegern aus den umliegenden kleinere Ortschaften,um zum Billigtanken nach Schweden zu fahren. Die Benzinpreise in Norwegen sind ziemlich gepfeffert. Ansonsten - Stille im Wald.
Der permanente Nieselregen und die totale Einsamkeit haben mich dann doch geknickt und ich habe mich für den "Rückzug" entschlossen. Der fing ganz erbärmlich an. 30 Km pro Tag, mehr waren nicht drin bei den Bergen. Im Regen bin ich gen Osten und habe da die Grenze nach Schweden überschritten. Eigentlich stand da nur eine alte Baracke, die leer war und sicherlich auch lange nicht genutzt wurde.
Jetzt war ich also in Dalsland, welches die Reiseführer immer so gern als "Schweden en miniature" beschreiben. Von allem sollte etwas da sein, Berge, Wälder, Seen und Landwirtschaft. Nur
das Meer fehlt. Auch leben hier noch die für Skandinavien typischen Tiere, Wolf, Elch und Bär.
Leider habe ich trotz mehrfachen campierens im Wald keines von ihnen getroffen. Nur einmal ist
mir eine besonders große Hundespur aufgefallen, von der ich annahm, das sie eher zu einem Wolf gehören könnte. In Ed, der ersten größeren Stadt in Dalsland, hatte ich wieder Lust auf Zivilisation.
Also rauf auf den Campingplatz. Dieser war noch recht leer zu dieser Jahreszeit. Außer ein paar Dauercampern in ihren Wohnwagen, war ich der Einzige mit einem Zelt. Auch auf den anderen Campingplätzen , die ich später angefahren bin, sollte es so bleiben.
Vor Antritt meiner Reise habe ich via Internet die Schwedische Campingkarte bestellt. So eine kleine
Chipkarte, ähnlich einer Kreditkarte, die das Einchecken auf den Campingplätzen erleichtern sollte.
Auf meinem ersten Campingplatz, in Ed, mußte ich neben der Platzgebühr auch noch die gültige Jahresmarke für die Campingkarte bezahlen, so daß ich auf stolze 130,-Kr. für eine Nacht in der Zivilisation kam. Die nächsten Tage habe ich es dann doch wieder vorgezogen, in der Botanik zu campen. Der Kontakt zu den Einwohnern war eher zurückhaltend. Ab und an wurde ich von Leuten
auf englisch angesprochen, woher ich denn komme und wo es hingehen soll. Ansonsten gab man sich reserviert zurückhaltend. Nach 130 km stieß ich auf den ersten kleinen Laden an der Straße. Wie bei einigen anderen Gehöften an der Strecke bin ich artig mit meinen leeren Wasserflaschen in das Geschäft rein und habe nach Trinkwasser gefragt. Eine ältere Frau hat mir bereitwillig geholfen und bei dieser Gelegenheit habe ich noch meinen Brotvorrat ergänzt. Fast die ganze Tour habe ich mich von Wasser, Brot und Tütensuppen ernährt. Und es hat mir nichts gefehlt.
In der Nähe von Munkedahl mußte ich dann wohl oder übel 5 km auf der E 6 fahren. War zwar stressig, aber auf dem rechten Seitenstreifen haben die Trucker mich geduldet.
Ziel waren die Inseln Orust und Tjörn nördlich von Göteborg.
Ich hatte gehofft, an der Nordseeküste, dem ständigen Kreislauf von Berg und Tal entkommen zu können. Doch weit gefehlt, auch die Scheren sind schließlich Berge. Sicher, schön anzusehen, aber mit dem Rad beschwerlich zu bezwingen.
Auf den beiden Inseln konnte man die Nähe der größeren Stadt der Westküste schon spüren. Die Rudel Rennrad und Motorrad fahrender Einheimischer wurden immer größer und häufiger.
Seit einigen Tagen ging mein Weg nun immer südwärts. Auch die Sonne hatte ausgeschlafen und die grauen Wolken längst verdrängt. Zwei, drei Tage später hatte ich herrlichen Sonnenbrand auf Unterarmen und im Gesicht.
Auf der Insel Orust bin ich dann auf meinem "Lieblingscampingplatz" dieser Tour angelangt. Neben einem älteren schwedischen Ehepaar war ich der einzige Gast dort.
Der Betreiber, ein alter hagerer Mann hat sich rührend um mich bemüht und das für eine Campinggebühr von 40,-Kr. Es war zwar alles auf dem Platz sehr einfach und spartanisch, dafür aber
persönlich. Nicht so wie auf den großen Plätzen im Süden, in Ystad oder Trelleborg.
Einige Tage später habe ich kurz vor den Toren Göteborgs auf einem Campingplatz unmittelbar am
Fuß einer alten Burg Rast gemacht. Hier wollte ich die Durchquerung Göteborgs planen. Trotz vieler
Horrormeldungen stellte sich das als gar nicht so schwer dar. Sicher, ich mußte fast 10 Leute fragen, bevor ich nach reichlich zwei Stunden durch diese Riesenstadt durch war, aber es ging doch besser als gedacht. Ein junger Schwede hat mich mit seinem Rennrad noch einige Kilometer durch die Stadt
gelotst.
Langsam weicht der Wald größeren landwirtschaftlichen Flächen. Auch die Städte entlang der Westküste werden immer häufiger, Varberg, Falkenberg, Halmstadt. Zwischen Varberg und Falkenberg treffe ich auf den ersten, übrigens auch einzigen, Gleichgesinnten. Ein Radtourist mit
Vollbepacktem Mountainbike. Wir wechseln die ersten fünf Sätze auf englisch, bis wir feststellen, daß wir beide aus Deutschland stammen.
Er kommt aus Braunschweig, über Trelleborg und will nach Norwegen. Ich bin schon auf dem Rückweg nach Trelleborg. Wir quatschen noch fast eine Stunde, schließlich haben wir beide tagelang keinen Landsmann getroffen. Da keiner von uns sein Reiseziel ändern will, trennen wir uns schließlich und fahren in entgegengesetzten Richtungen davon. Es wird immer wärmer.
Nach einigen Malen Zelten im Wald und an der Nordseeküste wird die Sehnsucht nach einem Campingplatz immer größer. Die Fliegen haben schon lange mitbekommen, daß ich mich seit Tagen nicht gewaschen habe und sind zu meinen ständigen Begleitern geworden. In der Höhe von Halmstadt entschließe ich mich noch einen Abstecher nach Osten, ins Landesinnere zu machen. In Halmstadt, einer relativ großen Stadt verfahre ich mich hoffnungslos. Der "Schrauber" in einem Fahrradgeschäft, beschreibt mir den Weg, nachdem er mir erklärt hat, daß das Fahrrad in der Schweiz Velo heißt.
Über Klippan und Hörr geht es weiter nach Süden. Die landwirtschaftlichen Flächen werden immer größer und die Möglichkeiten den Freicampens immer geringer. In Ystad, einer kleinen Hafenstadt,
suche ich wieder einen Campingplatz auf. Nachdem das Zelt steht und ich mein tägliches Ritual, waschen und Essen kochen, hinter mich gebracht habe, setze ich mich auf mein Rad und erkunde noch die Stadt. Ystad hat den am besten erhaltenen alten Stadtkern und auch einen relativ großen Fähranleger. Von hier kann man ggf. seine Tour nach Polen zur Insel Usedom in Mecklenburg fortsetzen.
Zurück auf dem Zeltplatz ist noch alles in und am Zelt vollständig. Übrigens habe ich das Zelt auf jedem der angefahrenen Campingplätze alleine gelassen. Nie ist mir etwas abhandengekommen.
Am Abend werde ich durch Zufall noch Zeuge einer riesen Autoshow direkt auf der Straße vor dem Campingplatz. Präsentiert werden amerikanische Autos, hauptsächlich große Straßenkreuzer. So viele von diesen Gefährten habe ich noch nie auf einem Haufen gesehen.
Am nächsten Tag folgt die letzte Etappe der Tour. Es soll auch die flachste werden. 45 km von Ystad nach Trelleborg. Fast die gesamte Strecke mit direktem Blickkontakt an der Ostseeküste entlang. 2-3 kleine Hügelchen, der Rest ist flach.
Nach einer schlaflosen Nacht auf der Fähre lande ich wieder in Saßnitz, dem Ziel meiner Reise, wo ich von meiner Frau und meinem Hund sehnsüchtig erwartet werde.
800 km, 350 Dias, 70 Seiten Tourtagebuch, 7 kg Gewichtsverlußt und eine Menge Erfahrung sind das Ergebnis dieser Reise.
Alle Rechte an Bild und Text liegen bei dem Author Joachim Horst
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